Metallabrieb bei fehlerhafter Hüftprothese – LG Freiburg bestätigt die Haftung des Herstellers und erteilt seinem Einwand, es handele sich um einen nicht erkennbaren Entwicklungsfehler, eine Absage

Landgericht Freiburg, Urteil vom 15.10.2018, 1 O 240/10

Das Landgericht Freiburg hat in einem seit 2010 laufenden Gerichtsverfahren nach langwieriger Anhörung mehrerer medizinischer und technischer Sachverständigen den Hersteller einer fehlerhaften Hüftprothese zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 25.000,00 € sowie zum Ersatz möglicher zukünftiger Schäden verurteilt.

Zur Überzeugung des Gerichts stand nach Abschluss der Beweisaufnahme fest, dass von der Hüftprothese erhöhter Metallabrieb ausging, der gesundheitlich bedenklich ist

Letztlich habe eine unzureichende Krafteinwirkung bei der operativen Fügung der Konusverbindung zu einer „galvanischen“ Korrosion geführt – und damit zum Versagen der Hüftprothese. Der Hersteller habe über die Bedeutung und Beachtung einer Mindest-Fügekraft nicht ausreichend in der OP-Anleitung aufgeklärt, so dass ein sog. „Instruktionsfehler“ im Sinne von § 3 Produkthaftungsgesetz vorliege.

Der Hersteller konnte sich nicht mit dem Verweis auf alternative Ursachen entlasten

Der Hersteller argumentierte im Ergebnis ohne Erfolg, dass weitere Ursachen des Metallabriebs denkbar seien. Diese möglichen Ursachen seien zwar bei isolierter Betrachtung nicht widerlegt, fielen aber sämtlich in den Verantwortungsbereich des Herstellers und könnten deshalb keinesfalls eine Entlastung des beklagten Herstellers rechtfertigen.

Das Landgericht schloss die Annahme eines sog. Entwicklungsfehlers (§ 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG), für den der Hersteller nicht einzustehen hätte, aus

Ein entlastender Entwicklungsfehler könne nicht angenommen werden, da der Produktfehler an der Hüftprothese im Zeitpunkt des Inverkehrbringens im Jahr 2005 nach dem Stand der Wissenschaft der Technik erkennbar gewesen sei.

Für die Erkennbarkeit maßgeblich sei das objektiv zugängliche Gefahrenwissen; auf die subjektive Erkenntnismöglichkeit des Herstellers komme es hingegen nicht an. Auch dürfe der maßgebliche Stand von Wissenschaft und Technik dabei nicht mit Branchenüblichkeit gleichgesetzt werden, da die in der jeweiligen Branche praktizierten Sicherheitsvorkehrungen durchaus hinter den technischen Entwicklungen und den rechtlich gebotenen Maßnahmen zurückbleiben können.

Bei Kenntnis unvermeidbarer Risiken (wie hier: Metallabrieb) müsse unter Berücksichtigung ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit, ihrer Art, ihres Umfangs und andererseits des Produktnutzens abgewogen werden, ob die Hüftprothese überhaupt in den Verkehr gebracht werden dürfe. Gemessen an diesen Maßstäben hätte der Hersteller das Prothesensystem nicht – jedenfalls nicht ohne weitergehende Tests und Fortentwicklung – in den Verkehr bringen dürfen.

Denn das betroffene Prothesensystem stellte in mehrfacher Hinsicht einen erheblichen Innovationsschritt dar. So wurden große Köpfe (> 40 mm statt zuvor < 30 mm) mit einer Metall-auf-Metall-Gleitpaarung konzipiert. Die Pfanne wurde nicht wie zuvor üblich mit einem Inlay, sondern als dünne Monoblockpfanne entwickelt. Zudem enthielt sie eine modulare Konus-Steckverbindung in Kombination mit einer Adapterhülse. Keine der einzelnen Designänderungen war völlig neu – der Innovationsgehalt des Systems war dennoch insgesamt als hoch zu bewerten.

Gerade bei Fortentwicklung des Designs der Hüftprothese muss der Hersteller vor Markteinführung umfangreiche Testverfahren (nach dem neuesten Stand der Technik) zu den erkennbaren Risiken der Prothese durchführen

Der Innovationsschritt in der Konzeption der Hüftprothese sei mit mehreren Risiken für die Patientensicherheit einhergegangen, die dem Hersteller entweder bekannt oder zumindest erkennbar gewesen wären. Der Hersteller habe gleichwohl das Prothesensystem nur unzureichend getestet, obgleich im Jahre 2005 mehrere Testverfahren zur Verfügung gestanden hätten, die die Gefährlichkeit der Hüftprothese aufgezeigt hätten. Mit dem dadurch gewonnenen Gefahrenwissen hätte der Hersteller die Prothese nicht auf den Markt bringen dürfen.

Der Metallabrieb hatte bei dem klagenden Patienten zu nachweisbaren Gesundheitsschäden geführt, so dass das Landgericht den Hersteller zur Zahlung von Schmerzensgeld sowie zum Ersatz möglicher zukünftiger Schäden verurteilte.

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