Alter kann vor Eigenbedarfskündigung schützen

LG Berlin, Urteil vom 12.03.2019, 67 S 345/18

Die 67. Zivilkammer des Landgerichts Berlin hat eine Räumungsklage aufgrund Eigenbedarfskündigung gegen ein hochbetagtes Ehepaar abgewiesen. Es wurde die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit angeordnet (§ 308 a Abs. 1 ZPO i.V.m. § 574 a Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB)

Die Klägerin wurde im Juli 2015 Eigentümerin der Wohnung in Berlin-Tiergarten. Sie erklärte im August 2015 die Kündigung wegen Eigenbedarfs zum Juli 2016 mit der Begründung, sie wolle zukünftig nicht mehr zusammen mit ihrem erwachsenen Sohn zur Miete, sondern stattdessen in ihrer neuen Wohnung leben. Die 84- sowie 87-jährigen beklagten Mieter, die die Wohnung seit 1997 bewohnten, widersprachen der Kündigung form- und fristgerecht. Sie verwiesen auf ihr hohes Alter, ihren beeinträchtigten Gesundheitszustand sowie ihre langjährige Verwurzelung am Ort der Mietsache. Außerdem seien ihre finanziellen Mittel für die Beschaffung von Ersatzwohnraum zu beschränkt.

Das Gericht kam im Rahmen seiner Abwägung der widerstreitenden Interessen zu dem Ergebnis, dass die betagten Mieter in der Wohnung auf unbestimmte Zeit wohnen bleiben dürfen.

Bei einer Eigenbedarfskündigung sind das Erlangungsinteresse der Vermieterin und das Bestandsinteresse der Mieter gegeneinander abzuwägen

Grundsätzlich gilt: Mieter können der Kündigung ihres Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für sie, ihre Familie oder einen anderen Angehörigen ihres Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist (§ 574 Abs. 1 Satz 1 BGB).

Unter Härte sind alle den Mietern erwachsenden Nachteile wirtschaftlicher, finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder persönlicher Art zu verstehen, die in Folge der Vertragsbeendigung auftreten können. Diese müssen sich in der Intensität allerdings von den mit einem Wohnungswechsel typischerweise verbundenen Unannehmlichkeiten deutlich abheben.

Ob das Alter der Mieter zum Zeitpunkt der Kündigung ausreicht, um eine nicht zu rechtfertigende Härte zu begründen, wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich entschieden

Das Landgericht Berlin sieht jedenfalls eine solche „Härte“ darin, dass die Beklagten den Besitz an ihrer Wohnung kündigungsbedingt zu einem Zeitpunkt aufgeben müssten, in dem sich beide bereits in einem hohen Lebensalter befinden.

Von den nachteiligen Folgen des unfreiwilligen Verlustes der eigenen Wohnung seien alte Menschen ungleich härter betroffen, da sie sich bereits in einer Lebensphase befänden, die zusätzlich von zahlreichen sonstigen Beeinträchtigungen beeinflusst sei. Insbesondere hätten ältere Menschen eine höhere Anfälligkeit für zahlreiche Krankheiten, psychosoziale Veränderungen sowie den Verlust enger persönlicher Beziehungen und die damit verbundene Zunahme von sozialer Isolierung und Einsamkeit zu verkraften. Die Nachteile, die mit der Begründung eines neuen Lebensmittelpunktes resultieren, überstiegen diejenige für Menschen in einem jüngeren Alter „bei Weitem“.

Diese Wertung stehe im Einklang mit dem in Art. 25 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verbrieften Schutz älterer Menschen. Daneben verpflichteten Art. 1 Abs. 1 GG („Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt) und das Sozialstaatsprinzip den Staat, die grundlegenden Voraussetzungen individueller und sozialer Existenz zu erhalten.

Die Begründung eines neuen Lebensmittelpunktes kann für alte Menschen mit zahlreichen erheblichen gesundheitlichen, psychosozialen sowie auch finanziellen Nachteilen verbunden sein, die im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen sind

Da die Beklagten weder über eine weitere Wohnung verfügen noch auf dem sich immer weiter verschließenden Wohnungsmarkt in Berlin angemessenen Ersatzwohnraum unschwer anmieten könnten, erst recht nicht in der Nähe der bisherigen Mietsache, komme dem Verlust ihrer Wohnung ein erhebliches Gewicht zu. Der Eigennutzungswusch der Vermieterin, der auf einen bloßen „Komfortzuwachs“ ausgerichtet sei, trete dahinter zurück. Es gäbe keine persönlichen oder wirtschaftlichen Interessen der Vermieterin, die ein gleichrangiges Erlangungsinteresse begründen könnten.

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